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Was bleibt
By Lida Bach | March 5, 2013
Wenn sie sehe, dass sie alle festen Boden unter den Füßen hätten, freue sie sich, sagt Gitte (Corinna Harfouch) der Tischrunde. Ihr langjähriger Ehemann Günter (Ernst Stötzner), die Söhne Marko (Lars Eidinger), der sein erstes Buch veröffentlicht, Jakob (Sebastian Zimmler), der eine Zahnarztpraxis führt und seine Freundin Ella (Picco von Groote). Sie freue sich, sagt Gitte, in dieser Hinsicht zu ihnen gehören zu können. Tut das die gutsituierte Hausfrau, Mutter und Gattin? Ihre Versicherung zerrinnt im Wiederholen der Worte: „Fester Boden, fester Boden…“
Tatsächlich ist es dünnes Eis, auf dem sich die Protagonisten in Hans-Christian Schmids konzentrierter Familienstudie Was bleibt bewegen. Die feinen Risse darin weiten sich schon in den Anfangsszenen des sorgsam komponierten Ensemblestücks zu emotionalen Abgründen. Gitte versucht sie zu überwinden indem sie ihre Psychopharmaka absetzt. Ihr Entschluss entrüste Jakob und Günter, der ein Buch über „Motive und Erzählstrategien bei den Assyrern“ plant – und eine Recherchereise ohne die nichtsahnende Gitte. Günters Vorhaben deutet auf eine Suche nach Neuland, die geistig, beruflich oder partnerschaftlich auch den übrigen Protagonisten bevorsteht. Bernd Langes differenziertes Skript betrachtet nacheinander ihre unterschiedlichen Perspektiven; zuletzt die Günters, den Gittes Entschluss zum Eingeständnis seiner Unaufrichtigkeit gegen sie, die Söhnen und sich selbst zwingt. Die Oberfläche, die von den Heidtmanns vor ihrem distinguierten Umfeld gewahrt wird, erinnert transparent und undurchlässig an eine Glasglocke. Äußere Eindrücke prallen daran ab. Tiefere Gefühle ersticken darunter.
Subtil offenbart Bernd Lange Gittes repressive Ehe- und Familiensituation als Nährboden psychischer Leiden, durch ein Kinderbuch, das Marko zur Hand nimmt. Es ist Maurice Sendaks Higglety Pigglety Pop, das mit den Worten beginnt. “Einst hatte Jennie alles. Sie hatte einen eigenen Kamm, eine Bürste, zwei verschiedene Pillenfläschchen… Und sie hatte einen Herrn, der sie liebte.“ In einem behüteten Käfig lebt auch Gitte, deren Herr Gatte längst eine andere liebt. Sendaks Terrier-Dame Jennie ist eines Morgens auf und davon. Nicht anders Gitte, von der plötzlich jede Spur fehlt. „Was man liebt, muss man loslassen.“, sagt sie einmal: „Wenn es zurückkommt, dann bleibt’s.“ Gitte bleibt, nachdem sie zurückgekommen ist – zurück zu sich selbst.
Topics: Film Reviews, German Film | Comments Off on Was bleibt
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