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Interview mit Sheri Hagen zu „Auf den zweiten Blick“
By Doreen Butze | October 16, 2013
Am 13. September habe ich die Regisseurin und Schauspielerin Sheri Hagen getroffen. Sie hat mir ein Interview zu ihrem ersten selbstproduzierten Langfilm Auf den zweiten Blick gegeben, bei dem sie auch Regie führte. Auf den zweiten Blick ist ein warmherziger und leichter Film, der Mut macht. Der Film startet am 10. Oktober in den Kinos (Hier meine Review).
Wie kam es zu diesem Projekt, diesem Film? Woher hattest du die Idee für Auf den zweiten Blick?
Sheri Hagen: Ich hatte zuerst die Figur Kay (gespielt von Anita Olatunji) entwickelt. Grundlage bildete die wahre Geschichte einer Person, von der ich hörte. Hätte ich mich nur auf Kays Geschichte konzentriert,wäre es ein Drama geworden. Ich wollte aber kein Drama erzählen, sondern eher die Leichtigkeit des Seins. Kay wurde von heute auf morgen von ihrem Verlobten verlassen, nach einem Unfall, den er verursacht hat. Danach lag sie über ein Jahr im Krankenhaus. Diese Sätze hatte ich gehört und sie haben etwas in mir bewegt. Ich stellte mir die Frage: Was, wenn diese Frau wirklich alles verliert und keine Chance hat zurück zu ihrem alten Leben zu finden, sondern einen Neuanfang wagen muss? Sie verliert ihr Augenlicht. Ihr wird praktisch der Boden unter den Füßen weggezogen. So ist dann mein Film Auf den zweiten Blick entstanden.
Wie haben sich dann die anderen Geschichten entwickelt?
Sheri Hagen: Durch meine Recherche zum Thema Sehbehinderung/Blindheit. In meiner Umgebung in Charlottenburg gibt es einen Blindenverein und das Georg-Kolbe-Museum. Es gibt blinde Menschen, die in dieses Museum gehen, um die Ausstellungen dort zu sehen. Ich hatte zwar somit einen Bezug zu Blinden aber keinen Bezug zu Sehbehinderten. Ich habe dann während der Recherche unterschiedliche Facetten von Blindheit und Sehbehinderung kennen gelernt. Ich fand diese Thematik so faszinierend, dass ich zu dem Schluss kam: Ich muss das zeigen.
Die Protagonisten in deinem Film haben Eigenschaften, die eher exkludierend in unserer Gesellschaft wirken können wie Behinderung, Homosexualität oder ihre Hautfarbe. Du verknüpfst das in deinem Film völlig vorurteilsfrei und sehr leicht miteinander. Gab es da eigentlich auch Kritik oder die Erwartungshaltung, dass bei diesen Themen eher der Finger in die Wunde gelegt werden muss?
Sheri Hagen: Es gab Zuschauer, die mit den Themen im Film überfordert waren. Meine Geschichte handelt von Dingen, die uns alle beschäftigen. Nur werden diese Themen zu Randthemen gemacht, oder sie werden ausgeblendet. Wenn man sich die Gesellschaft anschaut, dann merkt man: es gibt unterschiedliche Menschen mit Behinderungen oder Nichtbehinderungen. Wir zeigen stattdessen im Kino oder im Fernsehen Menschen, die auf eine gewissen Art perfekt sind und einen bestimmten Look haben. Aber wenn ich durch die Straßen laufe, dann sehe ich andere Menschen, höre andere Geschichten und denke mir: Wieso sehe ich das so selten auf der Leinwand? Sobald jemand merkt, dass es nicht so funktioniert für ihn, wie es sollte, dann entsteht eine Schieflage. Diese Schieflage wird meist von der Gesellschaft nicht aufgefangen. Wir leben in einer Gesellschaft, zumindest hier in Deutschland, in der politische und wirtschaftliche Sicherheit gegeben ist. Da hat man dann die Chance bzw. muss dafür Sorge tragen, dass auch andere Geschichten erzählt werden, damit diese selbstverständlich werden. Das möchte ich mit meinem Film erreichen, das ist mein Beitrag dazu. Wir sind doch ganz stinknormale Menschen. Schwarze können auch Lachen oder Weinen und Blinde oder Sehbehinderte auch, und sie haben ebenso Vorurteile. Wir sind alle nicht makellos.
Wie ist das Casting abgelaufen? Hast du drüber nachgedacht, den Film komplett mit blinden/sehbehinderten Menschen zu besetzen?
Sheri Hagen: Ich hätte gerne Blinde als Protagonisten besetzt. Blinde und sehbehinderte Menschen brauchen einfach einen längeren Vorlauf und ich hatte leider nicht die Zeit, ein großes Casting zu veranstalten, deshalb habe ich mich für sehende Schauspieler entschieden.
Wie kam die Finanzierung zu Stande? Stichwort Filmförderung. Wie stehst du dazu?
Sheri Hagen: Die Filmförderung ist wichtig. Ich bin auch teilweise froh, dass wir die Fördergremien haben. Das Einzige, was ich wirklich sehr schade finde ist, dass diese Fördergremien inzwischen an Sender gekoppelt sind. Das heißt, ein Independentfilmer hat nur eine Chance auf Förderung, wenn er auch einen Sender oder eine große Produktionsfirma an der Hand hat. Wenn man das nicht hat, ist es sehr schwierig.Oft ist es auch so, dass fast immer dieselben Filmemacher oder Produktionsfirmen gefördert werden. Dadurch gibt es auch viele Filme, die einfach nicht in die Kinos kommen. Ab und zu schaffen es solche Filme, auf Festivals zu laufen, so wie mein Film, weil eine Eigenfinanzierung dahinter steht oder die Filme auf Low-Budget-Weise realisiert wurden. Das ist zwar großartig, aber diese Filme schaffen dann den nächsten Schritt meist nicht. Die Filmförderung, so wie sie zur Zeit ist, finde ich zu einseitig. Ich habe meinen Film ein Stück weit eigenfinanziert. Des Weiteren hatte ich tolle Menschen, die als Mäzen fungierten. Außerdem hat das ganze Team ohne Gage gearbeitet. Das kann aber nicht die Normalität sein. Leute müssen für ihre Arbeit bezahlt werden und auch davon Leben können.
Der Film wurde ja schon im Rahmen einer Previewtour und auf Festivals gezeigt. Wie sind die ersten Eindrücke der Zuschauer?
Sheri Hagen: Gerade Blinde und Sehbehinderte sind glücklich über den Film. Auch die Preview hier in Berlin ist sehr gut angenommen worden. Besonders gut hat den Zuschauern gefallen, dass der Film sich für die Geschichte und die einzelnen Figuren Zeit nimmt. Die Verschiedenartigkeit der Figuren, z. B. hinsichtlich der Hautfarbe oder die Darstellung des Themas Behinderung im Alltag, eben ohne erhobenen Zeigefinger, wurde von den Zuschauern positiv aufgenommen. Ich liebe Previews (lacht).
Wieso hast du dich für den Drehort Berlin entschieden?
Sheri Hagen: Es hätte auch Hamburg sein können, aber da ich zur Zeit hier lebe und es vieles vereinfacht, habe ich Berlin gewählt. Berlin ist eine tolle Stadt. Es gibt hier eine Vielfalt in den Straßen. Das war mir wichtig. Gleichzeitig ist Berlin geprägt von Anonymität und Einsamkeit. Aber das alles hätte ich auch in Hamburg finden können. Na gut, die gelbe S-Bahn nicht.(lacht).
Der Film hat wirklich tolle Bilder…
Sheri Hagen: Markus Stotz ist ein toller Kameramann. Er ist flexibel und ein Rock’n Roller, was mir sehr wichtig war. Ich brauchte jemanden, der frei ist von Normen und sich traut mit der Handkamera zu arbeiten. Ich wollte eine gewisse Unschärfe im Film haben, quasi als Konzept, wie die jeweilige Behinderung wahrgenommen wird, auch als Irritation für Sehende.
Die Musik unterstützt hervorragend den Film bzw. einzelne Szenen…
Sheri Hagen: Ja, die Musik ist neben den sechs Protagonisten und Berlin die achte Hauptfigur im Film. Es gibt drei Paare, eines davon findet sich sozusagen über das Lachen. Das andere über die Stimme und das dritte Paar über die Musik selbst. Die beiden, die sich über die Stimme, also über den Jazzradiosender, kennenlernen, werden natürlich mit Jazzmusik begleitet. Das Paar, das über die Musik zusammenfindet, wird mit klassischer Musik untermalt. Reggie Moore ist ein großartiger Jazzmusiker. Er hat wunderbare Arbeit für den Film geleistet. Die Szene, in der sich das Paar am Klavier trifft und beginnt vierhändig zu spielen, fand ich großartig. Sie ist nach wie vor eine meiner Lieblingsszenen im Film.
Wie kam die Zusammenarbeit mit Reggie Moore zustande?
Sheri Hagen: Ich habe oft bestimmte Instrumente für meine Filme im Kopf. Hier war mir das Klavier sehr wichtig. Das heißt, ich habe nach einem Pianisten gesucht, der in der Lage ist, klassische Musik zu spielen und Jazzmusik. Ich kannte Reggie Moore und bin auf eines seiner Konzerte gegangen und hab ihn für meinen Film begeistert. Es war seine erste Filmarbeit.
Wird sich die Zusammenarbeit fortsetzen?
Sheri Hagen: Für den nächsten Film bin ich auf der Suche nach einem Schlagzeuger. Das wird sicherlich nicht Reggie sein, denn er ist ja in erster Linie Pianist.
Du hast bei diesem Film das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und warst gleichzeitig noch die Produzentin. Du hast diese Aufgaben ebenso bei deinem Kurzfilm Stella und die Störche übernommen. Wie bist du mit dieser Herausforderung umgegangen? Gab es Unterschiede zur Arbeit an deinem Kurzfilm?
Sheri Hagen: Der Kurzfilm war ja für mich die Premiere und der Beweis, dass ich es überhaupt kann. Ich bin in erster Linie Schauspielerin. Es lässt ja immer leicht sagen beim Dreh: Man hätte Szenen gerne so oder doch anders. Ich sagte mir, “Ok, ich probiere es mit Stella und die Störche aus, ob es mir Spass macht und ob ich das, was ich erzählen möchte, auch erzählen kann. Ich habe dann wirklich Blut geleckt. Ich habe mich hingesetzt, die Geschichte ausformuliert und schließlich inszeniert. Mir hat es viel Spass gemacht die Schauspieler zu führen. Wir sind in einen Dialog getreten, der sehr bereichernd war. So bereichernd, dass ich schon mein nächstes Projekt im Kopf habe. (lacht)
Kannst du schon etwas über dein nächstes Projekt erzählen?
Sheri Hagen: Ich bereite gerade zwei neue Projekte vor, ein Drama und eine Komödie. Beim Drama handelt es sich um eine Missbrauchsgeschichte, die aber anders erzählt wird, als man es sich sonst vorstellt. Die Geschichte basiert auf dem Theaterstück Muttermale Fenster Blau von Marianna Salzmann. Dann gibt es die Komödie, die zwischen Berlin und Lagos spielen wird. Dazu möchte ich aber noch nichts verraten.
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