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    Das Wunder von Paris. Zum Film »Diplomatie« von Volker Schlöndorff

    By Wolfgang J. Ruf | September 8, 2014

    Niels Arestrup als General Dietrich von Choltitz und André Dussolier als Konsul Raoul Nording (v. l.); courtesy Koch-Media, München

    Niels Arestrup als General Dietrich von Choltitz und André Dussolier als Konsul Raoul Nording (v. l.); courtesy Koch-Media, München

    Es vergeht derzeit kein Tag, an dem nicht von verschiedensten Seiten diplomatische Lösungen für die immer bedrohlicher scheinenden Konflikte überall auf der Welt, in der Ukraine, in Syrien und im Irak, zwischen Israel und seinen Nachbarn, in Afghanistan und wo auch immer, gefordert werden. Die Idealvorstellung, dass jede diplomatische Verhandlung ausschliesslich mit aufrichtigem Respekt voreinander, mit verbalem Taktgefühl und dem Bemühen um Sachlichkeit bei noch so kontroversen Standpunkten einhergeht, dürfte indes eine Illusion sein. Volker Schlöndorffs neuer Film mit dem lapidaren Titel Diplomatie zeigt das ungemein aufschlussreich an einem berühmten, in seinen Details aber wenig bekannten historischen Beispiel.

    Im Mittelpunkt des Films steht zwar ein weitgehend fiktives Beispiel für das, was diplomatische Anstrengungen selbst in aussichtsloser Situation zu leisten vermögen. Der Disput zwischen General Dietrich von Choltitz (1894-1966), der Anfang August 1944 zum Wehrmachtskommandeur von Paris ernannt wurde, und dem schwedischen, gleichwohl in Paris geborenen Generalkonsul Raoul Nordling (1882-1962), der in der Nacht vom 24. auf den 25. August 1944 den deutschen General davon abzubringen versucht, Paris zu zerstören, hat so, wie ihn der französische Bühnenautor Cyril Gély für sein wirkungsvolles Bühnenstück gleichen Titels entwickelte und der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff mit den ungemein präsenten, aus der Pariser Inszenierung von 2011 am Théâtre de la Madeleine übernommenen Schauspielern Niels Arestrup und André Dussolier nun virtuos inszenierte, wohl nicht stattgefunden. Doch die historischen Umstände dieser geradezu verzweifelt geführten Auseinandersetzung sind authentisch, und aus dieser Spannung gewinnt der Film seine besondere Faszination. Man folgt geradezu atemlos jedem Zug dieser Auseinandersetzung, obwohl man das Ergebnis, das Wunder der Rettung von Paris, kennt.

    Regisseur und Ko-Autor Volker Schlöndorff mit den beiden Hauptdarstellern; Koch-Media, München

    Regisseur und Ko-Autor Volker Schlöndorff mit den beiden Hauptdarstellern; Koch-Media, München

    Von Choltitz und Nordling standen tatsächlich miteinander im intensiven Dialog. Nordling erwirkte vom deutschen General die Freilassung von mehr als 3000 politischen Häftlingen, verhandelte mit ihm über einen Waffenstillstand zwischen Wehrmacht und Résistance und überbrachte auch General Leclercs Aufforderung zur Kapitulation, die der Deutsche zunächst aber ablehnte. Von Choltitz hatte am 23. August 1944 – übrigens am selben Tag, an dem das mit Deutschland verbündete Königreich Rumänien die Fronten wechselte – von Hitler den sogenannten Trümmerfeldbefehl erhalten, der mit der schlimmstmöglichen Wendung endet: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen.“ Ob der deutsche General, der schon in Rotterdam an der Zerstörung einer Grosstadt beteiligt war, sich bei der Belagerung von Sewastopol mit besonderer Härte hervortat und nach eigenem Zeugnis in Russland auch an Kriegsverbrechen der Wehrmacht mitwirkte, durch Gespräche mit Nordling und anderen oder ganz durch eigene Überlegung zur Einsicht kam, diesen Befehl nicht mehr zu befolgen, ist nicht bekannt. Auch die Memoiren, die sowohl von Choltitz als auch Nordling nach dem Krieg publizierten, geben darüber keine zuverlässige Auskunft. Jedenfalls war von Choltitz, wie in den Abhörprokollen des englischen Offizierslagers Trent Park und auch in seinen Memoiren belegt ist, seit seiner letzten Begegnung mit Hitler, den er in der Wolfsschanze unmittelbar vor seinem Dienstantritt in Paris als menschliches Wrack erlebte, nicht mehr unumstösslich vom blinden Befehl und Gehorsam-Prinzip überzeugt. Er hat möglicherweise von alliierter Seite auch die Drohung erhalten, im Fall der Zerstörung von Paris als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es ist schliesslich auch die Historikermeinung zu finden, dass von Choltitz den Befehl zur Zerstörung der französischen Metropole in seiner Entscheidungsnot so lange hinausgezögert hat, bis er nicht mehr durchführbar war. Auch das traditionsreiche Hotel Le Meurice, in dem von Choltitz residierte, ist authentisch. Aber in Stück und Film gelangt Nordling durch einen Geheimgang, durch den schon Napleon III. zu seiner Geliebten geschlichen sein soll, in die Suite des Wehrmachtgenerals. Zudem scheint er von Choltitz durch einen Spiegel schon länger auszuspähen. Denn er weiss zum Erstaunen des Generals über alles genau Bescheid. Solche Tricks erinnern an die Herkunft dieser Begegnung aus der Welt des Theaters, in der alles möglich ist – eben auch, dass Nordling mit seinen Versuchen, von Choltitz’ Gewissen zu wecken, nur das alter ego des Generals ist. Das ist eine durchaus mögliche Lesart, die aber an der Essenz dieses Dialogs nichts ändert. Das Ende wiederum ist ganz und gar historisch beglaubigt: Die Alliierten marschieren ins weitgehend unzerstörte Paris ein, das Schicksal Stalingrads, Warschaus und Berlins blieb der Stadt an der Seine erspart, obwohl sie schon zu einem Ende in Schutt und Asche verurteilt schien. Von Coltitz kapituliert und begibt sich in Gefangenschaft. Dass er den zerstörerischen Befehl Hitlers nicht mehr ausführte, sei der erste Schritt zur deutsch-französischen Versöhnung gewesen, soll General de Gaulle, der spätere französische Präsident, gesagt haben. Ob der deutsche General gar als Ritter der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet wurde, ist vielleicht nur ein Gerücht. Gewiss ist aber, dass ihm bei seinem Begräbnis 1966 in Baden-Baden der französische Stadtkommandant und weitere ranghohe französische Offiziere die letzte Ehre erwiesen.

    Der Filmregisseur und Autor Volker Schlöndorff, der seine Ausbildung zum Teil in Frankreich erfuhr und seine ersten beruflichen Schritte als Assistent namhafter französischer Regisseure machte, hat sich mehrfach mit dem Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt, in den Filmen Der Unhold (1996) und Der neunte Tag, nicht zuletzt auch in seiner international beachteten Günter Grass-Verfilmung Die Blechtrommel (1979). Mit der deutschen Besatzung in Frankreich befasste er sich schon in seinem letzten Film Das Meer am Morgen. In Diplomatie, ebenfalls einer deutsch-französischen Koproduktion, geht es auch um ein hierzulande weniger bekanntes Kapitel jenes Zeitgeschehens, das jenseits simpler Schwarzweiss-Zeichnung voller verworrener und ungeklärter Details steckt. Doch Gély und Schlöndorff interessieren sich offensichtlich ganz bewusst nicht für die komplexen, durchaus auch spannungsreichen historischen Ereignisse der Befreiung von Paris, in denen von Choltitz und Nordling zwar durchaus wichtige Rollen spielen, aber auch andere entscheidend mitwirken, General Charles de Gaulle vor allem mit seiner fintenreichen Taktik zwischen Alliierten und kommunistisch infiltrierten Résistance-Kämpfern. Das wird in dem auch heute noch lesenswerten, gut recherchierten Buch Brennt Paris? von Larry Collins und Dominique Lapierre, das erstmals 1965 erschien, ausführlich geschildert. Nach ihm entstand auch 1966 das Filmepos gleichen Titels von René Clément mit einem grossen Staraufgebot; von Choltitz wurde darin von Gert Fröbe, Nordling von Orson Welles gespielt. Doch warum der deutsche General zum ersten Mal einen Führerbefehl nicht befolgte und somit entscheidend zur Rettung von Paris beitrug, erfährt man hier auch nicht.

    Gély und Schlöndorff nutzen diesen historisch weissen Flecken für die grundsätzlichen Aspekte der Situation des Generals. Der ahnt durchaus schon, in eine Sackgasse geraten zu sein, in der den tradierten Tugenden nicht mehr blind gefolgt werden kann. Nordlings rationale Argumente wie der Hinweis, es sei von Choltitz’ Pflicht, in dieser Lage “der Zukunft eine Tür offen zu halten”, bleiben nicht ohne Wirkung. Aber von Choltitz versteht sich auch auf Gegenargumente. Dieser Schlagabtausch ist nicht ohne Witz, wenn etwa der biblische Abraham bemüht wird oder andere kulturkundige Vergleiche gezogen werden, aber doch ohne Aussicht auf Lösungen der Vernunft. In seinem Kampf um Paris sieht Nordling erst einen Hoffnungsschimmer, als er zu den persönlichsten Ängsten des Generals vordringt. Als im Morgengrauen deutlich wird, dass dem deutschen General das Wohl der eigenen Familie über allem steht und er im Falle seines Ungehorsames die nach Stauffenbergs Attentat damals auch gegen weitere hohe Offiziere angedrohte Sippenhaft fürchtet, als er Frau und Kinder schon von der Einlieferung ins KZ Ravensbrück bedroht sieht, greift Nordling zu einer List. Er sichert von Choltitz zu, dessen Familie sicher von Baden-Baden über Frankreich in die Schweiz zu schleusen. Als von Choltitz’ Bursche, den er schon längst auf dem Weg nach Baden-Baden wähnt und der angeblich mit Nordlings Instruktionen agieren soll, am Morgen zurückkommt, gerade noch einem gezielten Résistance-Überfall entronnen, ahnt der General den Betrug. Aber die Würfel sind gefallen. “Die Mittel und Wege der Diplomatie sind … nicht weniger unehrenhaft als die des Militärs, auch wenn sie weniger tödlich sind,” sagt Schlöndorff dazu. “Aus diesem Grund wollte ich dem Mut, dem Einsatz, der Gewitzheit und dem Erfolg des Diplomaten meine Anerkennung zollen, dem wahren Helden dieses Films. Denn er verkörpert eine Menschlichkeit, die weit über Gesetze und Vorschriften hinausgeht.”

    Schlöndorff hat seinen Film dem Journalisten und Zeitungsverleger Richard Holbrooke (1941-2010) gewidmet, der mehrfach zum Berater und Sondergesandten der Regierung der USA berufen wurde, 1993 auch für einige Monate Botschafter der USA in Berlin und, etwa bei seinen Aktivitäten in Ostasien, nicht immer unumstritten war. Durch sein Engagement auf dem Balkan gilt er indes als wichtigster diplomatischer Vorbereiter des Dayton-Abkommens, mit dem 1995 der Bürgerkrieg in Bosnien beigelegt werden konnte. Er soll damals mit einer Gruppe hochrangiger US-Offiziere in Belgrad angereist sein und sie dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević mit folgenden Worten vorgestellt haben: “Diese Soldaten befehligen die amerikanischen Luftstreitkräfte, die bereitstehen, Sie zu bombardieren, wenn wir nicht zu einer Einigung gelangen“.

    © Wolfgang J. Ruf, September 2014

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