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Eisenstein in Guanajuato
By Doreen Butze | February 12, 2015
Der Wettbewerb der 65. Berlinale kommt, meinem Gefühl nach, nur schwer in Gang. Am gestrigen Tag wurde ich jedoch aus meiner Lethargie gerissen, durch den furiosen Film Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway. Eigentlich hatte der mittlerweile 72-jährige walisische Regisseur dem Kino bereits abgeschworen, nichtsdestotrotz meldet er sich mit seiner wilden Hommage an Sergej Eisenstein eindrucksvoll zurück.
Zu Beginn des Films ist alles in schwarz-weiß getaucht. Nur ab und zu gibt es für kurze Zeit ein paar Farbtupfer, die sich aber immer wieder ins Graue verlieren. Drei Autos, in einem davon sitzt Eisenstein (grandios Elmer Bäck), fahren 1930/31 durch eine wüstenartige Gegend. Es könnte der Beginn einer tristen Erzählung sein. Aber plötzlich wird alles bunt und lebendig: wir sind mit Eisenstein in Mexiko, genauer Guanajuato, angekommen. Hier möchte der große russische Regisseur seinen neuen Film ¡Que viva México! verwirklichen.
Quasi im Schnelldurchlauf bekommt der Zuschauer die Biographie Eisensteins bis zu Beginn der 1930er Jahre hin, dargelegt. Nacheinander werden die Protagonisten des Films eingeführt und den wirklichen Personen gegenübergestellt. Hierbei fällt auf wie viel Mühe sich Greenaway bei der Auswahl der Schauspieler gemacht haben muss. Sie gleichen ihren historischen Vorbildern oft frappierend.
In nervösen Erzählungen, untermalt von zahlreichen Split-Screen-Einstellungen, erfahren wir etwas über das Wirken Eisensteins als Stummfilmpionier. Seine bis heute cineastischen Meilensteine Streik oder Panzerkreuzer Potemkin (beide 1925 entstanden) werden vielfach referenziert, oft nur in ein bis zwei sekündigen Ausschnitten. Zahlreiche Weggefährten, wie Buster Keaton, Charlie Chaplin oder Walt Disney, aus Hollywood (Ende der 1920er Jahre ereilte in der Ruf dorthin) werden genannt.
Die hektische Bildkomposition setzt sich im ganzen Film fort und auch die Protagonisten können selten still stehen. Während der Dialoge fährt die Kamera kreisförmig um sie herum, oder die Hauptdarsteller bewegen sich durch Räume oder um Gegenstände herum. In einem irrwitzigem Tempo werden kulturelle Vergleiche zwischen Europa und Südamerika gezogen, sowie Eisensteins Erlebnisberichte dem Zuschauer entgegen geschleudert.
¡Que viva México! soll die Geschichte der Mexikaner und die der mexikanischen Revolution nacherzählen. Doch dieses filmische Projekt wird unvollendet bleiben. Eisensteins Geldgeber der Schriftsteller Upton Sinclair verweigert ihm die finanziellen Mittel, wegen Verzögerungen beim Drehen, und legt ihm nahe in die UdSSR zurück zu kehren. Von den Arbeiten am Film erfährt der Zuschauer fast ausschließlich durch verschiedene Berichte. Greenaway fokussiert sich eher auf die erotische Beziehung von Eisenstein zu seinem mexikanischen Führer Palomino Cañedo (Luis Alberti).
Hier kommen die Begriffe Eros und Thanatos ins Spiel, die sich praktisch im mexikanischen Fest Dia de Muertos wiederfinden lassen. Die Dichotomie von Lieben/Erschaffen und Tod/Zerstören. Dazwischen oszilliert das menschliche Dasein. Wir sehen Eisenstein und Palomino Cañedo voller Vertrautheit nackt im Bett. Als die Rückkehr in die UdSSR unvermeidlich ist, gewinnt Thanatos die Oberhand. Die Beziehung der Beiden kann nicht fortgeführt werden. Symbolisch dafür setzt sich Eisenstein eine mexikanische Totenmaske auf.
Mit Eisenstein in Guanajuato ist Peter Greenaway ein furioses Comeback gelungen. Elmer Bäck spielt den Sergej Eisenstein völlig entfesselt und so energiegeladen. Mit wirrem aufgestellten Haar, sieht er dem realen Sergej Eisenstein auch zum Verwechseln ähnlich. (Irr)witzig, eloquent, frisch, unruhig – so präsentierte sich nicht nur der Film im Kino, sondern auch Peter Greenaway auf der anschließenden Pressekonferenz. Er hat mir echt den Wettbewerb gerettet. Danke!
Topics: Film Reviews, International Reports | Comments Off on Eisenstein in Guanajuato
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